40 Jahre GRÜNE – in Hagen und anderswo

16.02.20 –

Über viele Jahre war Hildegund Kingreen das „Gesicht“ der Hagener GRÜNEN.

25 Jahre war sie im Rat, davon zehn als Fraktionssprecherin. Ich habe mit ihr über ihre Erinnerungen gesprochen. 

Wie bist du zur Politik gekommen?

Zum Ende des Vietnamkriegs, also nach 1979, gab es eine Initiative von Terre des Hommes, unbegleitete Kinder und Jugendliche aus den Flüchtlingslagern nach Deutschland zu holen. 19 von diesen Jugendlichen kamen nach Hagen. Ich habe mich damals intensiv um ihre Integration – Unterbringung in Wohngruppe oder Pflegefamilien, Ausbildung, Familiennachzug - gekümmert. Das wurde unterstützt durch eine zu der Zeit noch große Zustimmung und Hilfs-bereitschaft in der Hagener Bevölkerung. Es wäre wohl bei meinem Engagement in Initiativen geblieben, hätten mich nicht eines Tages die GRÜNEN gefragt, ob ich nicht für sie in den Aus-länderbeirat gehen würde. Das war der Anfang, es folgte der Personalausschuss und bald darauf kam die Anfrage von Dieter Groß an mich, 1989 für den Rat zu kandidieren, die zweite grüne Ratsperiode.

Wie war die politische Stimmung Anfang der Achtziger Jahre?

Man muss die globale Lage sehen. Es war ja noch die Zeit des Kalten Krieges. Demonstrationen für Frieden und Abrüstung, gegen Atomwaffen und Atomtransporte waren an der Tagesordnung. Die Umweltbewegung entstand. Aber auch die Flüchtlingsfrage spielte eine immer größere Rolle bei zunehmend ablehnender Haltung bei Teilen von Politik und Bevölkerung.

Es war ja nicht ausgemacht, dass aus der Umweltbewegung eine Partei würde. Man war ja bemüht, sich ganz stark vom etablierten Politikbetrieb abzusetzen. Wie hast du das damals empfunden?

Ich habe das sofort begrüßt, obwohl es am Anfang ziemlich chaotisch zuging. Ich habe die Grünen auch sofort gewählt. Es gab sehr viel Kreativität und Aktivität auch hier vor Ort. Wir waren ja nah an den Initiativen, jede/r bei den GRÜNEN hatte mit denen zu tun. Die Liebe zur Natur und ihr Schutz waren von Kindheit an für mich elementar wichtig. Wir Grünen waren friedens- und umweltbewegt, haben auch für eine integrative Gesellschaft gestritten und etwa gegen den §175 gekämpft. 

Die Frauenbewegung war für viele damals ein rotes Tuch. Gab es frauenpolitische Aktivitäten auch in Hagen?

Von Anfang an haben wir für die Abschaffung des §218 gekämpft und darauf hingewiesen, dass es in Hagen keine Möglichkeit zur Abtreibung gibt. Noch heute müssen die Frauen nach Dortmund fahren! Eingesetzt haben wir uns auch für eine religionsneutrale Schwangerschaftskonfliktberatung.

Wie war der Umgang untereinander?

Es wurde viel und teils auch sehr verbissen diskutiert. Besonders am Anfang waren wir ja eine sehr bunte Truppe. Ich erinnere mich an erbitterte Auseinandersetzungen auf allen Ebenen der GRÜNEN, weil die Idealvorstellungen und Denkweisen sehr weit auseinandergingen. Dadurch verließen auch Menschen die Grünen wieder, andere kamen dazu. Heftig geraucht wurde in den Sitzungen zu der Zeit auch noch - gleichzeitig aber über Cadmiumvergiftung in der Batte-rieproduktion diskutiert… (lacht) Natürlich wird auch heute gestritten. Aber es besteht Konsens darüber, sachlich und wertschätzend miteinander umzugehen.

Atomkraft, Umweltschutz, Frieden und Flüchtlinge waren Themen, die einen zwangsläufig in Opposition zu Bekannten und Verwandten brachte. Hast du da viele Diskussionen geführt?

Gesprächspartner, Nachbarn waren schon mal peinlich berührt und gingen auf Abstand. Familienmitglieder zeigten Unverständnis. Grüne galten als chaotisch und weltfremd.

Unter welchen Bedingungen habt ihr damals politisch gearbeitet?

Es gab ein erstes Kreisverbandsbüro in der Haldener Straße vor meiner Zeit, dann in der Wehringhauser Straße, dann in der Langestraße, das war ziemlich schäbig. Ein Fraktions-Büro im Rathaus bekamen wir 1989. Zwischen den Treffen haben wir endlos viele Telefonate geführt, die auch die Familien belasteten. Ich war insofern sehr froh, als die Kommunikation immer mehr über E-Mail geführt wurde. 

Die Presse, später auch Radio Hagen, waren die Informationsmedien damals. Im Lokalteil der beiden Zeitungen wurden lokalpolitische Themen ausgiebig berichtet und diskutiert, begleitet von Leserbriefen. Die Presseleute kamen zu den Veranstaltungen, machten Fotos und ausführliche Berichte. 

Als ich in den Personalausschuss kam, saßen da außer mir nur Männer. Als Frau, Grüne, Nichtraucherin, Nichttrinkerin war ich da erstmal außen vor. Unter OB Thieser wurde noch lange in den Sitzungen geraucht und auch schon mal in der Sitzungspause Alkohol ausgeschenkt. Das war eine andere Kultur.

Dann hast du für den Rat kandidiert…

Für mich wurde ein Fortbildungsprogramm organisiert, weil ich mich ja in viele Themen erst einarbeiten musste. Fritz Helms hat mir z.B. eine Einführung zur Wirtschaft gegeben. Es gab ja keine Unterstützungsprogramme der Landesebene, kein Mentoring. Außer einer Fachzeitschrift für GRÜNE Kommunalpolitik waren wir vor Ort mehr oder weniger auf uns selbst gestellt. 

Auch von den „Altparteien“ wurden die GRÜNEN nicht grade mit Samthandschuhen ange-asst. Wie waren deine Erfahrungen im Rat? 

In der ersten Zeit war der Umgang mit uns im Rat vielfach ablehnend, spöttisch, aggressiv. Man redete bei unseren Wortbeiträgen dazwischen oder ging raus zum Kaffeetrinken.

Natürlich ist der Umgang besser geworden. Ein schlechter Ton herrscht heute eher im Rat als in den Ausschüssen oder gar in fast allen Bezirksvertretungen, wo meistens sachbezogen diskutiert wird.  

Was waren die Aufregerthemen in Hagen? Was waren die ersten Erfolge? 

Die Varta mit damals völlig unzureichendem Schutz der Belegschaft und der Umgebung vor Vergiftung mit Blei, Cadmium, Quecksilber. Abgeschafft wurde auf unser Betreiben eine separate Auszahlstelle für Flüchtlinge. Angeblich war es den Sparkassenkunden nicht zuzumuten, wenn sie Asylbewerbern begegneten! Einen harten Kampf führten wir – schließlich erfolgreich- gegen die Versorgung der Geflüchteten mit Esspaketen statt Geld.

Verhindert haben wir z.B. den Hochwasserdamm am Holthauser Bach, die Bebauung des Bettermanngeländes mit einem riesigen Baukomplex, den Autohof auf der Haßleyer Insel, leider nicht den Möbelmarkt, die Vernichtung eines Naturschutzgebietes für die Erweiterung des Steinbruchs Donnerkuhle, auch mit Hilfe des BUND, der schließlich eine erfolgreiche Klage anstrengte. Bei der Ortsumgehung Boele ist uns das leider nicht gelungen, was sich bis heute darin auswirkt, dass LKW-Verkehr unnötig in die Stadt gezogen wird. Auch bei der Stadtbahn haben wir uns nicht durchsetzen können. Unter OB Dehm haben wir den dringend nötigen Neubau des Tierheims erreicht. Auch ein mir besonderes Anliegen haben wir durchgekämpft: Den Bau des Schumacher-Museums und damit die Entwicklung des heutigen Kunstquartiers.

Wir GRÜNEN waren und sind mit unseren ganzen Ideen, die Stadt Flächen sparend und Umweltschonend zu beplanen, wenig erfolgreich!

Die Stadt hat in Hagen Flächen für Gewerbeansiedlung völlig verschleudert. Jeder, der mit Geld kommt, konnte in dieser Stadt alles machen! Da sind Chancen buchstäblich „verbaut“ worden. Beispiel: Wehringhausen, die verschwenderische Planung im Lennetal und schließlich die Haßleyer Insel, die sich für verträgliches Gewerbe vorzüglich geeignet hätte. Stadtplanung wurde bisher zu viel in der Verantwortung städtischer Gesellschaften gemacht und von der Politik, wenn überhaupt, abgenickt. Ich sehe mit Sorge, dass die ausgegliederten städtischen Tochter- Gesellschaften, allen voran der WBH mit seinen Untergesellschaften, zu viel außerhalb der politischen Kontrolle agieren.

Wenn du jetzt auf die Fridays for Future–Bewegung schaust: siehst du Parallelen zur Zeit der Groß-Demos in den Achtzigern?

Ja, doch! Ich habe mich kaum über etwas so sehr gefreut. Ihre Themen sind richtig und sie haben eine Jugendbewegung hervorgebracht, wie es sie so noch nie gegeben hat. Die Politiker*innen der Altparteien können die nicht so abbügeln, wie sie es lange mit uns getan haben.

Was würdest du der jüngeren Generation gerne mit auf den Weg geben?

Dass es sich lohnt, für ihr Leben und für ihre Ziele zu kämpfen und dass sie für Demokratie streiten und Ökologie mit Wirtschaft und Sozialem zusammen sehen, früher wurden ja immer Ökologie und Ökonomie als Gegensätze dargestellt. Sie haben den richtigen Ansatz und stellen mit ihrem fundierten Wissen manchen Politiker ins Abseits. Angesichts der dramatischen Entwicklungen beim Klimawandel und Artensterben sind sie für mich eine ganz große Hoffnung. 

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