Warum Gender

12.02.20 –

 Wer GRÜNE Texte wie unser Wahlprogramm in die Hand bekommt, wird feststellen, dass wir gerne geschlechtergerechte Sprache verwenden. Das tun wir, weil wir sie für ganz normal und wichtig halten. Wir können schlecht für Demokratie und Menschenrechte kämpfen und dann einen grundlegenden Aspekt des Zusammenlebens einfach so unter den Tisch fallen lassen. Das wäre in unseren Augen ein Widerspruch. Natürlich sollen alle privat weiterhin so schreiben dürfen, wie sie wollen. Im politischen Zusammenhang bedeutet der Gebrauch oder gezielte Nicht-Gebrauch von geschlechtergerechter Sprache dagegen eine klare Positionierung.

Grammatisches und persönliches Geschlecht

Wer die maskuline Form als die Regel festschreiben will, unterstellt, Wörter hätten ein grammatisches Geschlecht. Professoren wären danach als natürliche Personen ebenso beiderlei Geschlechts wie Studenten. Studenten wären Studentinnen und Studenten, weil das grammatische Geschlecht des Wortes über das Geschlecht der bezeichneten Person theoretisch nichts aussagte. Die Konstruktion des grammatischen Geschlechts ist allerdings nicht ohne den Bezug zur männergeprägten Wirklichkeit entstanden und kollidierte immer stärker mit der wahrgenommenen und gedachten sozialen Welt.

Sprache prägt das Denken 

Männer werden fast immer richtig eingeordnet, Frauen fast nie, denn in unserer Sprache gilt die Regel: 99 Sängerinnen und ein Sänger sind 100 Sänger.     (Luise Pusch, 1990)

Durch Sprache entstehen Bilder in unseren Köpfen. Menschen haben bei der männlichen Form auch tatsächlich Männer vor Augen, das ist in zahlreichen Studien belegt.

Das hat Folgen: „Experimente zeigen …, dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau für eine Position im Management als passend und geeignet angesehen wird, signifikant höher ist, wenn in der Stellenausschreibung sowohl die männliche als auch die weibliche Form verwendet wird – verglichen mit einer identischen Stellenausschreibung, die nur männliche Formen verwendet.“ (TU Braunschweig)      

Durch das Nennen von Menschen aller Geschlechter werden stereotype Rollenbilder aufgehoben. Gendergerechte Sprache zeigt indirekt, dass Menschen jeden Geschlechts für verschiedene Tätigkeiten geeignet und befähigt sind. Sie zeigt Wertschätzung gegenüber allen Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht. Ihre Benennung drückt die Gleichbehandlung von Frauen, Männern und diversen Menschen als demokratisches Prinzip aus. 

Wer fühlt sich denn „mitgemeint“?

Waren bei dem Kongress wirklich nur Politiker oder Wissenschaftler anwesend? Haben wirklich nur Aktivisten an der Blockade teilgenommen? Dies widerspricht oftmals der Realität, da in den meisten Bereichen unserer Gesellschaft Personen verschiedenen Geschlechts präsent sind.  

„Die Grundschulen suchen händeringend Lehrer.“

Suchen sie jetzt nur Männer oder Lehrkräfte überhaupt? Oft wird die maskuline Form geschrieben, die feminine nur „mitgemeint“. Texte richten sich aber fast immer an alle Personen, egal, welches Geschlecht sie haben. Es ist nicht zuletzt eine Frage der Präzision klarzumachen, dass eine bestimmte Aufgabe nicht nur von Wissenschaftlern, sondern von Wissenschaftler*innen gelöst wurde – wenn es denn so ist.

Damit sich Frauen auch angesprochen fühlen, sollten sie auch ausdrücklich genannt und somit sichtbar werden. Und zur Frage der Ästhetik nur so viel:  Selten beschwert sich jemand bei „Beitragsbemessungsgrenzennachweis“ oder ähnlichen Wortmonstern, dass dies Art zu formulieren eine Zumutung für die Lesenden sei. Man hört und liest diese Kritik eigentlich nur, wenn es um geschlechtergerechte Sprache geht.

Geschlechtergerechte Sprache ist keine Ausnahmeerscheinung mehr

Seit den 1970ern versuchen Feministinnen und ihre Sympathisanten, durch geschlechtersensible Sprache ein anderes Bewusstsein zu schaffen. Nach der etwas unhandlichen Doppelbezeichnung „Studentinnen und Studenten“ kam das Binnen-I. Mit der Erweiterung des Geschlechterverständnisses über die binäre Aufteilung Mann/Frau hinaus wurden aus den Stundent:Innen später Student*innen (das ist ein Gendersternchen) oder Student:innen (geht auch mit Doppelpunkt), um auch Personen einzubeziehen, die sich keinem der beiden Geschlechter zuordnen. Nachteil: beim Lautlesen ist nur die weibliche Form zu hören, wenn man nicht extra Sprechpausen macht. Man (von mir aus auch frau oder mensch) kann auch die zugrunde liegende Verbform aufgreifen und erhält Studierende

Geschlecht kommt nicht in nur zwei Varianten daher, es ist ein Spektrum der Möglichkeiten. Und dieses sollte möglichst auch in der Sprache abgebildet werden.

Das haben wir „schon immer“ so gemacht 

Der Einwand, es sei schließlich schon immer so gewesen und das Maskulinum eben die Norm, zieht auch nicht. Vieles, wofür wir uns einsetzen, war „schon immer so“ und wir akzeptieren es trotzdem nicht, weil es Menschen in ihren Grundrechten einengt. Sprache entwickelt sich ständig weiter.

Bei den „Bürgern (!) für Hohenlimburg“ scheinen solche Überlegungen noch nicht angekommen zu sein. In seiner Haushaltsrede vom Dezember 2019 beschwert sich ihr Sprecher Frank Schmidt, dass „trotz des engen Personalkorsetts genug Zeit bleibt, um die Bediensteten der Stadt Hagen umfänglich in gendergerechter Sprache zu schulen.“

Frauen in der Politik kennen das. Andere Dinge sind grundsätzlich wichtiger als ihre Anliegen. Dass „Bürger-Angelegenheiten auf ihre Bearbeitung warten“ (Schmidt), hängt wohl eher mit der unzureichenden Personalausstattung zusammen als mit dem Landesgleichstellungsgesetz. Immerhin handelt es sich dabei um eine bindende rechtliche Vorschrift.

Dort heißt es in § 4: „Gesetze und andere Rechtsvorschriften tragen sprachlich der Gleichstellung von Frauen und Männern Rechnung. In der internen wie externen dienstlichen Kommunikation ist die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern zu beachten. In Vordrucken sind geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen zu verwenden. Sofern diese nicht gefunden werden können, sind die weibliche und die männliche Sprachform zu verwenden.“

 Ein Wald aus Binnen-I?

“Texte werden durch gendergerechte Sprache unverständlich!” – ein weiteres häufiges Argument gegen gendergerechte Sprache. 

Das stimmt so nicht. Texte mit der Nennung beider Formen oder neutralen Formulierungen werden genauso gut inhaltlich verstanden wie Texte, die durchgehend in männlicher Form geschrieben sind. Ein Problem war eher die bürokratisch–umständliche Ausdrucksweise. Dies ergab eine Studie der TU Braunschweig

Zugegeben: Manchmal braucht es Fingerspitzengefühl  (- oder eben Schulungen!) um einen Text zu schreiben, der treffend und zugleich gut lesbar ist. Aber eigentlich ist es gar nicht so schwer. Im Netz gibt es praktische Tipps, etwa unter https://geschicktgendern.de/

 Im dortigen Genderwörterbuch werden etwa aus „Anfängern“ „Menschen ohne Vorkenntnisse“. Diese Seite sei auch dem Kommentator der WP empfohlen, der die Witze des Herrn von den BfH über geschlechtergerechte Sprache so enorm amüsant fand…. (küc)

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